David Carsten Pedersen über das Großziehen seines Jagdhundes „Mille“
Menschen sind für sie potentielle Streichelmaschinen, und sie reagiert auf jeden so, als könne es der Beginn einer großen Freundschaft sein.
David Carsten Pedersen
„Dürfen wir Ihren Hund…“ Ja, natürlich. Mille genießt die Streicheleinheiten und freundliche Beachtung, die ihre Angst vor der großen Stadt und dem Lärm mindern. Ich hatte gedacht, dass das Leben in der Betonwüste sie mehr stressen würde. So geht es mir jedenfalls. Ich sehne mich nach Wald und offenem Raum. Mille, aber, fühlt sich in der Großstadt offensichtlich pudelwohl. Sirenen machen ihr nichts aus. Autos bringen sie nicht aus der Ruhe. Menschen sind für sie potentielle Streichelmaschinen, und sie reagiert auf jeden so, als könne es der Beginn einer großen Freundschaft sein. Keine schlechte Lebenseinstellung, denke ich. Und über meinen Hund erlebe ich Leute in der gleichen Art und Weise. Zugegeben, ich empfange weit weniger Liebkosungen von Fremden als mein Hündchen.
Dass sie mein Hündchen vorziehen, kann man wirklich niemandem verdenken. Dafür komme ich in den Genuß netter Unterhaltungen. Als Hundbesitzer in der Stadt erfährt man schnell von der großen Sehnsucht nach dem Hund: So viele erzählen dir von dem Hund, den sie mal hatten oder von dem Hund, den sie nicht mitnehmen konnten, oder vom Traum, irgendwann einen Hund zu haben. Mitteilungsbedürfnis und Streichelbedürfnis halten sich bestens die Waage, so scheint mir. Man tauscht Anekdoten aus, erfreut sich an der Gesellschaft des anderen für einen Augenblick, trennt sich und geht weiter. Man ist einen Funken glücklicher und denkt sich: So schlecht ist die Menschheit nicht. Sofern man sie mit den Augen eines Hundes betrachtet.
Dieser Bock sollte, so hatte ich beschlossen, der erste Bock sein, an dem sich der Hund versuchen sollte.
David Carsten Pedersen
„Komm her!“. Die schwere Maschine grummelte wie ein schlafender Bär. Der Hund war neun Wochen alt und wollte absolut nichts damit zu tun haben. „Komm, Mille! Ich zeig‘ dir ‚was Tolles.“ Sie kämpfte mit dem Drang, bei mir sein zu wollen und der Furcht vor dem großen, vierräderigen Fahrzeug. Ungläubig schaute sie mich an. „Auf das Ding gehe ich niemals!“ vermittelte sie mit jeder Faser ihres kleinen Körpers. Ich, aber, wollte nichts davon wissen. Ich hob sie behutsam hoch und setzte sie auf meinen Schoß. Mit einer Hand auf dem Hund, der anderen am Gas brachte ich die Maschine in Bewegung und rollte langsam los. Dem Blick meines Hundes nach zu urteilen, hielt sie mich für völlig verrückt. Doch ich wusste, dass sie ihre Meinung bald ändern würde. Ich hatte ihr etwas zu zeigen.
Dreißig Minuten vorher hatte ich am Waldrand gestanden und einem kleinen Rehbock zugesehen, wie er alles Blattwerk im Umkreis von dreißig Metern abgraste. „Ich hätte den Bogen mitbringen sollen“, war mein erster Gedanke, aber mir war bis zum Einsetzen der Dunkelheit nicht genug Zeit geblieben. Stattdessen hatte ich mein Gewehr mitgenommen und war, glücklich wie ein Pfadfinder, im schwachen Licht durch den Wald gepirscht. Bald erspähte ich in einem Baum nur zehn Meter entfernt ein großes Ohreulen-Junges. Vermutlich hatte es das allererste Mal das Nest verlassen. Es schaute etwas verwirrt zu mir hinüber, während ich weiter durch den dunkelnden Wald schlich. Der Rehbock hatte auf einer Lichtung, fünfzig Meter entfernt, auf mich gewartet. Ein kleines Tier. Ein Jährling, an dem nicht viel dran war und das ideale Tier, aus dem Genpool herauszunehmen. Ich wusste um die Überzahl der Rehe. Mir war klar, dass ohne dieses Tier der Kampf um Futter in dieser Region des Waldes leichter werden würde. Es war die richtige Entscheidung, ihn zu erlegen.
Mit einem sauberen Schuss brachte ich das Tier zur Strecke und legte es unter die Fichte, an der es kurz zuvor noch geknabbert hatte. Dieser Bock sollte, so hatte ich beschlossen, der erste Bock sein, an dem sich der Hund versuchen sollte. Ein kleiner Bock für einen kleinen Hund. Es schien richtig. Ich zog das Tier näher an den Weg heran, bevor ich mich aufmachte, meinen zukünftigen Spürhund zu holen.
Die Fahrt mit dem Geländefahrzeug zurück zum Rehbock dauerte nicht lange. Meinem Welpen gefiel die Fahrt allerdings nicht. Überhaupt nicht. Die brummende Maschine. Der holprige Weg. Zu fremd war das alles. Doch sie blieb den ganzen Weg lang brav auf ihrem Platz auf meinem Schoß. Ihre großen Welpenaugen musterten mich: „Wenn das nur mal gut geht, Kumpel…“. Ich kam an der Stelle zum Halt, wo ich das Reh gelassen hatte, und setzte den Hund auf den Boden. „Mille“, sagte ich und klopfte mir auf die Brust – ein Signal, das wir schon viele Male geübt hatten. „Mille – such!“ Sie begann sofort die Stelle abzusuchen. Bislang hatten wir den Suchbefehl nur mit Hunde-Snacks geübt, aber offensichtlich wusste sie genau, worum es bei diesem Spiel ging. Gleichsam einer winzigen, pfeifenden Dampflok klebte sie an der Spur wie ein Magnet am Eisen und folgte ihr in gerader Linie direkt zum Reh im Busch. Dann stoppte sie. Schnüffelte am Bock und wartete auf meinen Befehl. „Los“, sagte ich. Sie ging dem toten Tier direkt an den Hals. Um ihr das Gefühl des Erfolgs zu geben, ließ ich sie für etwa eine Minute reißen und toben. Dann lud ich das Reh auf den Quad, während mein Welpe herumsprang wie ein Kind am Heiligabend. Nur ein Wort war nötig, und sie sprang mir auf den Schoß. Stolz war sie. Wie eine Löwin mit frisch erlegter Beute.