Cyber-physikalische Systeme als eine Säule von Industrie 4.0

Was ist das?

Ein Cyber-physikalisches System (CPS) steuert einen physikalisch-technischen Prozess und vereint dazu Elektronik, komplexe Software und Netzwerkkommunikation z.B. über das Internet. Charakteristisch ist, dass alle Elemente einen untrennbaren Beitrag zur Funktionsweise des Systems leisten. Daher wäre es falsch, jedes Gerät mit etwas Software und einem Netzwerkanschluss zu einem CPS zu erklären.

Gerade im Fertigungsumfeld sind CPS oft mechatronische Systeme, z.B. vernetzte Roboter. Embedded Systems stehen im Kern dieser Systeme, werden durch Netzwerke miteinander verbunden und durch zentrale Softwaresysteme z.B. in der Cloud ergänzt.

Cyber-physikalische Systeme sind durch ihre Vernetzung in der Lage, auch Infrastrukturen automatisch zu steuern, die über größere Entfernungen oder viele Orte verteilt sind. In der Vergangenheit waren diese nur begrenzt automatisierbar. Beispiele dafür sind dezentral gesteuerte Stromnetze, Logistikabläufe und verteilte Produktionsprozesse.

Im Fertigungsumfeld ermöglichen CPS durch ihre Automatisierung, Digitalisierung und Vernetzung eine hohe Flexibilität und Autonomie der Produktion. Dadurch werden z.B. Matrix-Produktionssysteme möglich, die hohe Variantenvielfalt für große und kleine Stückzahlen unterstützen [1].

Es hat sich bisher keine einheitliche Definition durchgesetzt, da der Begriff breite und unspezifische Anwendung findet und manchmal auch utopisch-futuristische Konzepte damit vermarktet werden [2].

Woher kommt der Begriff?

Innovationen im Bereich der IT, Netzwerktechnik, Elektronik etc. ermöglichten in den vergangenen Jahren komplexe, automatisierte und vernetzte Steuerungssysteme. Akademische Disziplinen wie die Steuerungs- und Regeltechnik sowie die Informationstechnik boten kein passendes Konzept für den neuen Mix aus technischen Prozessen, komplexen Daten und Software. Daher wurde ein neues Konzept mit einem passenden Namen nötig.

Der Begriff steht in enger Verwandtschaft zum Internet of Things (IoT). Außerdem bilden Cyber-physikalische Systeme den technischen Kern für viele Innovationen, die das Label „smart“ im Namen tragen: Smart Home, Smart City, Smart Grid etc.

Übrigens wird der deutsche Begriff nicht einheitlich verwendet, die alternative Schreibweise Cyber-physische Systeme wird z.B. durch den Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in seinen Normen propagiert. In der Fachliteratur hat sich diese Schreibweise aber bisher nicht durchgesetzt.

Merkmale von CPS

Wie bereits erwähnt gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Aus der Vielzahl von Definitionen lassen sich aber folgende Merkmale destillieren:

  • Im Kern steht ein physikalischer oder technischer Prozess.
  • Es gibt Sensoren und Modelle, um den Zustand des Prozesses digital zu erfassen.
  • Es gibt komplexe Software, um auf Basis des Zustands eine (teil-)automatische Entscheidung zu treffen. Dabei ist ein menschlicher Eingriff möglich, aber nicht zwingend nötig.
  • Es gibt technische Mittel, um die getroffene Entscheidung umzusetzen.
  • Alle Elemente des Systems sind vernetzt, um Informationen auszutauschen.

Ein Modell für den Aufbau eines CPS ist das Schichtenmodell nach [2]

Abbildung 1: Schichtenmodell für den inneren Aufbau von Cyber-physikalischen Systemen

Beispiele von Cyber-physikalischen Systemen

  • Selbststeuernde Fertigungsmaschinen und -prozesse (Smart Factory)
  • Dezentrale Steuerung von Stromerzeugung und -verbrauch (Smart Grids)
  • Gebäudeautomatisierung im Haushalt (Smart Home)
  • Verkehrssteuerung in Echtzeit, durch zentrale oder dezentrale Steuerung mit Verkehrsleitsystemen oder Apps (Element der Smart City)

Beispiel für ein Cyber-physikalisches System in der Industrie

In diesem Beispiel wird eine Fertigungsmaschine vorgestellt, die durch Software und Vernetzung weitgehend autonom agieren kann und dabei Leerlauf- Ausfall- und Wartungszeiten minimiert. Für unser Beispiel nehmen wir an, dass es sich um eine Werkzeugmaschine für die Zerspanung handelt.

Vernetzte Elemente des Systems:

  • Werkzeugmaschine mit
    • QR-Code-Kamera zur Werkstück-Identifikation
    • RFID-Leser zur Werkzeug-Identifikation
    • Automatische Vorratsüberwachung
    • Verschleißerkennung und Wartungsvorhersage
  • Zentrales IT-System für Konstruktionsdaten und Werkzeugparameter (CAM)
  • MES/ERP-System

Die Fertigungsmaschine in unserem Beispiel ist in der Lage, das Werkstück und das Werkzeug zu identifizieren. Dafür können die gängigen Technologien RFID oder QR-Code verwendet werden. Ein zentrales IT-System verwaltet Konstruktions- und Vorgabedaten, z.B. bei CNC-Maschinen ein Computer-aided Manufacturing-System (CAM). Die Fertigungsmaschine ruft mit der ID von Werkstück und Werkzeug alle Daten aus dem zentralen System ab, die für die Bearbeitung nötig sind. Damit entfällt die manuelle Eingabe von Parametern, die Daten werden durchgängig digital verarbeitet. Die Identifikation ermöglicht die Verbindung von physikalischer Schicht und Datenschicht eines Cyber-physikalischen Systems.

Die digitalisierten Daten für Werkstücke, Maschinen und weitere Elemente einer Fertigung können unter dem Begriff Digitaler Zwilling zusammengefasst werden, der im Blogartikel „Der digitale Zwilling als eine Säule von Industrie 4.0“ von Marco Grafe vorgestellt wurde.

Basierend auf den Konstruktions- und Vorgabedaten werden die eingerüsteten Werkzeuge und die in der Maschine vorhandenen Material- und Ressourcenvorräte überprüft. Bei Bedarf benachrichtigt die Maschine das Personal. Durch diese Validierung vor Bearbeitungsbeginn kann Ausschuss vermieden und die Auslastung erhöht werden.

Die Maschine überwacht ihren Zustand (in Betrieb, Leerlauf, Störung) und meldet diesen digital an ein zentrales System, mit dem Auslastung und weitere Betriebskennzahlen erfasst werden. Solche Funktionen zur Zustandsüberwachungen sind typischerweise in ein Manufacturing Execution System (MES) integriert und mittlerweile weit verbreitet. Für eine höhere Autonomie ist die Maschine in unserem Beispiel zusätzlich in der Lage, den eigenen Verschleiß zu messen, daraus Wartungsbedarf vorherzusagen und zu melden. Diese Funktionen sind unter dem Stichwort Predictive Maintenance bekannt. Diese Maßnahmen erhöhen die Maschinenverfügbarkeit und erleichtern Wartung und Arbeitsplanung.

Durch den Einsatz von Elektronik und Software ist unser fiktive Fertigungsmaschine in der Lage, weitgehend autonom zu arbeiten. Die Rolle des Menschen wird auf Beschickung, Rüsten, Entstörung und Wartung reduziert, er unterstützt damit nur noch die Maschine im Fertigungsprozess.

Literatur

[1] Forschungsbeirat Industrie 4.0, „Expertise: Umsetzung von cyber-physischen Matrixproduktionssystemen,“ acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, München, 2022.

[2] P. H. J. Nardelli, Cyber-physical systems: theory, methodology, and applications, Hoboken, New Jersey: Wiley, 2022.

[3] P. V. Krishna, V. Saritha und H. P. Sultana, Challenges, Opportunities, and Dimensions of Cyber-Physical Systems, Hershey, Pennsylvania: IGI Global, 2015.

[4] P. Marwedel, Eingebettete Systeme: Grundlagen Eingebetteter Systeme in Cyber-Physikalischen Systemen, Wiesbaden: Springer Vieweg, 2021.

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