Gelbschnabeltaucher als Langzeitgast

Wenn immer seltene, für die betreffende Region ungewöhnliche Vogelarten entdeckt werden, ist die Begeisterung der Vogelbeobachter und Ornithologen groß. Wird das Ereignis über die inzwischen etablierten Kommunikationsnetzwerke auf breiter Ebene kommuniziert, findet sich schnell eine Schar passionierter Birdwatcher ein, die den Vogel gerne sehen und auf ihrer „Lifeliste“ oder „Jahresliste“ eintragen wollen. Dafür werden regelmäßig auch Fahrten über mehrere hundert Kilometer zurückgelegt und auch schon mal ein ganzes Land durchquert. Vielfach geht es heute aber auch um die Vervollständigung der eigenen Fotosammlung, was eine noch größere Herausforderung darstellt, denn gute Fotos gelingen selten aus großer Distanz und erfordern Zeit und Mühe. So sind seltene Vögel oft der Anlass für ein Treffen vieler Interessierter aus nah und fern, wobei immer auch der rege Erfahrungsaustausch und die soziale Kontaktpflege eine wichtige Rolle spielen.

Äußerlich zeigte sich der im ersten Lebensjahr stehende Gelbschnabeltaucher zunächst unversehrt, und auch das Verhalten erschien bei kurzzeitiger Betrachtung keinesfalls ungewöhnlich.

Ein solches Beispiel war die überraschende Entdeckung eines Gelbschnabeltauchers am 13. Januar 2024 auf dem Thalinger Stausee, 13 km südöstlich von Linz in Oberösterreich, unmittelbar an der Grenze zu Niederösterreich. Abgesehen vom Aufenthalt des normalerweise auf dem Atlantik entlang der norwegischen, schottischen und irischen Küste überwinternden Vogels an sich, war die Verweildauer im mitteleuropäischen Binnenland von mindestens 45 Tagen doch außergewöhnlich lang, denn der Vogel hielt sich bis zum 26. März in einem doch sehr eng begrenzten Gebiet auf. Das neu erschienene Buch von Ernst Albegger „Seltene Vogelarten in Österreich“ verweist auf bisher nur neun Nachweise zwischen 1840 und 2014 mit einer Aufenthaltsdauer von wenigen Tagen bis zu 2 Wochen. In nur einem Fall verweilte ein ebenfalls juveniler Gelbschnabeltaucher sogar 4 Wochen. Während Gelbschnabeltaucher im Binnenland meist nur verhältnismäßig kurzzeitig gastieren, halten sich Eistaucher hier oft über Monate, nicht selten einen ganzen Winter lang auf und bleiben teilweise sogar bis in den folgenden Sommer hinein, wie das an großen Seen, beispielsweise dem Bodensee, in den letzten Jahren der Fall war.

Jedenfalls gehört der im vergangenen Winter am Thalinger Stausee entdeckte Gelbschnabeltaucher zu den am besten dokumentierten Exemplaren, da er aus verhältnismäßig geringer Distanz beobachtet und fotografiert werden konnte, wobei sich die Frage aufdrängt, was den Vogel wohl zu einem so langen Aufenthalt in einem artspezifisch doch recht außergewöhnlich kleinen Gebiet bewogen haben mag. Denn der Vogel zeigte regelmäßig auffällige Verhaltensweisen, wie scheinbare, mehr oder weniger lang anhaltende „würgeartige“ Bewegungen bei sowohl gerader, aber auch senkrecht noch oben gehaltenem Kopf wie das in den Abbildungen 4 und 5 zu sehen ist.

Mit hochauflösender Optik war zeitweise eine aus dem Schnabel ragende dünne Schnur erkennbar, die wie hier aus dem Schnabel herausragte, meist aber innerhalb des Schnabels liegend nicht sichtbar war

Die in seltenen Fällen geradlinig nach unten ragende Schnur lässt eine für Angelschnüre typische Spannung erkennen. Solche Schnüre werden oft zum Angeln kleiner Köderfische verwendet, weshalb die Haken relativ klein sind und deshalb nicht zum schnellen Tod größerer Vögel führen.

Äußere Verletzungen waren auf den ersten Blick mit einem Standardspektiv nicht zu erkennen (Abb. 1). In den Folgetagen wurde deshalb ein Zeiss Harpia Hochleistungsspektiv mit einem Morpheus 4,5 mm Okular eingesetzt, welches 116fache Vergrößerung bei exzellenter Schärfeleistung liefert, um die Schnabel- und Rachenregion genauer betrachten zu können. Hierbei fiel schließlich auf, dass keineswegs ständig, aber immer wieder sichtbar eine feine Schnur rechtsseitig aus dem Schnabelspalt herausragte, welche an der  rechten Unterschnabelhälfte angelegt war (Abb. 2), gelegentlich aber auch nach unten ragte und unterhalb des Schnabels bei sehr hoher Vergrößerung erkennbar war. Die Geradlinigkeit der am Unterschnabel außen anliegenden, insbesondere aber zeitweilig nach unten abstehenden Schnur (Abb. 3) zeigt deren für Angelschnüre sehr typische Spannung, was die Vermutung untermauert, dass der Vogel wahrscheinlich einen kleineren Angelhaken oder Blinker verschluckt hatte, welcher dem Vogel nicht unerhebliche Schmerzen bereitet haben dürfte und sein Überleben lang- bis mittelfristig doch sehr in Frage stellt.

Regelmäßig zeigte der Taucher untypisch lang und intensiv anhaltende „würgeartige Bewegungen“, was auf ein Problem im oberen Verdauungstrakt hindeutet.

Dementsprechend wurden die im Stausee oft erbeuteten Signalkrebse von diesem Gelbschnabeltaucher sehr lange und intensiv von Extremitäten befreit, was bei Eistauchern beider Arten zwar ein völlig normales Verhalten darstellt, in seiner Bearbeitungsdauer aber doch auffällig lang erschien. Schon bei mittelgroßen Exemplaren wurde oft auch das Rückenschild vor dem Verschlucken entfernt (Abb. 6). Größere Signalkrebse konnten mehrmals offensichtlich nicht verschluckt werden und sind wieder freigelassen worden. Auch bei größeren Fischen hatte der Vogel Mühe, diese hinunterzuwürgen. So wurde mehrmals beobachtet, wie Fische von gut doppelter Schnabellänge, die für Eis- und Gelbschnabeltaucher normalerweise kein Problem darstellen, erst nach fast einer halben Stunde unter Anstrengung hinuntergewürgt werden konnten. All dies deutet darauf hin, dass der Vogel unter einer Komplikation im oberen Verdauungstrakt zu leiden hatte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen irreparabel festsitzenden Angelhaken zurückzuführen ist. Angelhaken sind leider so verschleißfest, dass sie innerhalb eines Vogellebens nicht einmal ansatzweise verrotten, womit der seltene Taucher keinerlei Chance hat, langfristig zu überleben.

Signalkrebse mittlerer Größe wurden meist erst nach Entfernung der Extremitäten und wie hier auch des großen Rückenschildes verschluckt.

Dass sich Eistaucher für Angelblinker und Köder interessieren, wurde schon mehrfach beobachtet. Ein solcher wurde vor wenigen Jahren am Rhein bei Plobsheim schon einem Eistaucher zum Verhängnis, der elend daran zu Grunde ging.

In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist auch der Aufenthalt eines diesjährigen Gelbschnabeltauchers in Deutschland am Diemelsee vom 13. bis 28. Dezember 2016, welcher am Hals eine deutliche Verletzung zeigte, welche dem Aussehen nach durch ein Fischnetz bzw. eines damit verbundenen Seils entstanden sein könnte. So hatte der von vielen Birdwatchern gefeierte Aufenthalt des größten Seetauchers am Thalinger Stausee einen wohl eher traurigen Hintergrund. Jedenfalls spricht vieles dafür, dass auch dieser Vogel ein Opfer menschlicher Zivilisation geworden ist.

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