In diesem Blogbeitrag möchte ich von meinen persönlichen Erfahrungen mit der Arbeit im ersten verteilten Team der Saxonia Systems (seit 03/2020 ZEISS Digital Innovation) in Dresden und Miskolc, Ungarn, berichten. Das Spannende daran ist, dass 60 Personen knapp 1000 km vom Hauptbüro von Saxonia Systems entfernt sitzen und an demselben Projekt arbeiten können wie die Kollegen im Büro neben ihnen. Und doch sind sie ein echtes Team. Für Leute, die die Arbeit in einem verteilten Team nicht kennen, ist zunächst vermutlich nicht ersichtlich, wie diese Art der Zusammenarbeit funktionieren kann. Ich schreibe als Scrum Master eines Teams, dessen eine Hälfte in Dresden sitzt, die andere Hälfte in Miskolc, Ungarn. Dieser Blogbeitrag soll zeigen, wie wir mit der Zusammenarbeit angefangen und wie wir Vertrauen und Mut gewonnen haben, um das Team aufzubauen.
Die ursprüngliche Zusammensetzung sah wie folgt aus: Drei Entwickler und ein Business Analyst aus Dresden, drei Entwickler und ein Scrum Master aus Miskolc. Der deutsche Teil des Teams arbeitete bereits an dem Projekt, aber bis zum Abgabetermin gab es noch sehr viel Arbeit. Unsere anfänglichen Erwartungen an die gemeinsame Arbeit waren sehr unterschiedlich: Am Anfang hatten wir Angst vor der Kamera an der Wand. Wie können wir arbeiten, wenn uns jemand den ganzen Tag beobachtet? Wie kann ein verteiltes Team funktionieren, wenn unsere Deutschkenntnisse nicht so gut sind? Wie können wir mit Kollegen in einer so großen Entfernung arbeiten?
Die Zeit war knapp und wir haben schnell die Büros entsprechend des ETEO-Konzepts aufgebaut. Als die Grundlagen fertig waren, hatten wir unser erstes persönliches Treffen. Es waren nur ein paar Tage und diese Reise reichte gerade dazu, um uns gemeinsam ein Bild des Projekts zu machen. Wir dachten, da wir uns nun persönlich getroffen hatten, könnten wir in der Vorbereitung nicht mehr tun – jeder war sich sympathisch. Ab jetzt müssten wir uns auf den Projektanfang konzentrieren und das war’s. Doch wir merkten schnell, dass es nicht so einfach sein würde.
Wir stellten schon bald fest, dass die dauerhafte Videoverbindung nicht die Lösung für verteiltes Arbeiten ist, sondern nur ein Tool, welches das Team bei seiner Arbeit unterstützt. Es ist großartig, dass wir die anderen den ganzen Tag sehen können, aber zunächst würde niemand den Mut haben, sich vor den Fernseher zu stellen. Wie konnten wir von den Teammitgliedern, die sich nur ein- oder zweimal getroffen hatten, erwarten, dass sie sich trauen, eine einfache Frage vor dem ganzen Team zu stellen? Wahrscheinlich wäre die Antwort: Ich möchte die anderen nicht stören. Statt sie zu fragen, werde ich das Problem selbst googeln, oder? Mit etwas Glück werde ich die Antwort innerhalb kurzer Zeit finden, im schlimmsten Fall werde ich Stunden damit verbringen. Ich denke, es ist offensichtlich, dass das Team es sich nicht leisten kann, in solchen Situationen so viel Zeit zu verlieren, wenn es effektiv sein möchte.
Ich denke, diese Art von Mut wird in den Menschen gesteigert, wenn wir uns annähern können, um genug Vertrauen zueinander zu gewinnen. Es ist nicht einfach, Vertrauen aufzubauen ohne persönliche Treffen, informelle Gespräche, gemeinsame Abendessen und Teambuilding-Aktivitäten. Aufgrund meiner Erfahrungen kann ich sagen, dass das Wichtigste, das uns geholfen hat, ein echtes Team mit verteilten Standorten zu bilden, das intensive Reisen zwischen den Standorten in der frühen Phase war. Teammitglieder müssen nebeneinandersitzen, sie müssen wirklich das Gefühl haben, ein Team zu bilden und nicht nur an etwas zusammenzuarbeiten. Später ist es ausreichend, sich alle ein bis zwei Monate einmal zu treffen. Dies sollte jedoch der maximale Zeitabstand sein, denn die Verbindung muss beibehalten werden, da sonst die Produktivität des Teams abnimmt.
Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, agil zu sein. Das klingt zwar nach einem Klischee, hilft dem Team aber dabei, Fortschritte zu machen und seine individuellen Werte aufzuzeigen. Im Folgenden werde ich einige Beispiele anführen, die uns dabei geholfen haben, dorthin zu kommen, wo wir heute sind.
Beispielsweise kam es vor, dass wir anfingen, mit einer neuen Technologie zu arbeiten, die nicht jedem bekannt war. Früher haben wir versucht, das Wissen über Pair Programming Sessions zu teilen, weil es kein spezielles Scrum Meeting für diese Art von Aktivitäten gab. Das Ergebnis einer Retrospektive war daher, dass wir „Developer Cafés“ organisieren mussten, in denen wir jede Woche zusammensaßen und im Team das Wissen über die gewählten Themen austauschen konnten.
Ein weiteres Beispiel ist das Deutschlernen. Unsere Projektsprache ist Englisch, aber das Team hat beschlossen, die täglichen Stand-up Meetings auf Deutsch abzuhalten, weil sie die Sprache lernen möchten. Zwar hört es sich so an, als ob das nur für die ungarischen Kollegen schwierig wäre, aber dem ist nicht so. Es stellt auch für die deutschen Kollegen eine große Verpflichtung dar, da sie langsamer als gewöhnlich sprechen und möglichst einfache Sätze verwenden müssen.
Solche Dinge ergeben sich normalerweise aus der Retrospektive, der wichtigsten Scrum-Zeremonie im Leben des Teams. Wir müssen unsere Probleme im Team klären und uns verbessern. Das ist die beste Gelegenheit, damit sich das Team weiterentwickeln kann. Dabei ist es sehr wichtig, dass das Team manchmal an einem Ort zusammen eine Retro machen kann. Persönliche Treffen helfen dabei, die Teambindung zu stärken – dies ist mein wichtigster Ratschlag. Denn mit der Zeit wird sich das Team weiterentwickeln, es muss nur unterstützt werden und das Gefühl bekommen, ein Team zu sein.