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Verbessertes Verfahren zum Zählen von Gehirnsynapsen

Forscher an der Washington University in St. Louis (USA) entwickeln einfachere Methode zur Quantifizierung von Synapsen-Loci

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Das Gehirn ist ein gigantisches Netzwerk aus Synapsen. Milliarden von Neuronen sind in einer extrem dichten Matrix aus Billionen synaptischer Verbindungen miteinander verknüpft. Wissenschaftler entschlüsseln die Feinheiten dieses Netzwerks, um die Funktion und Erkrankungen des Gehirns besser zu verstehen. Dabei stehen sie immer wieder vor großen Herausforderungen. Denn die etablierten Verfahren zur Visualisierung und Erforschung dieser komplexen Zelllandschaft sind mithilfe der Elektronenmikroskopie oft sehr zeitaufwendig oder technisch nur schwer umzusetzen.

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Dr. Terrance Kummer (rechts) mit Dr. Andrew Sauerbeck, dem Erstautor des Artikels

Dr. Terrance Kummer und sein Team am Hope Center for Neurological Disorders der Washington University in St. Louis (USA) haben einen Artikel veröffentlicht, der eine neue Methode zur Quantifizierung der Gehirnsynapsen mit der ZEISS Airyscan-Technologie beschreibt. Die Methode kann einfach umgesetzt werden und bietet vielen Forschern die Möglichkeit, wichtige Fragen zur Funktion und zu Erkrankungen des Nervensystems mithilfe dieser Analyseformen nachzugehen.

Dr. Kummer hat uns einige Fragen zu seiner Forschung und zu dieser neuen Methode beantwortet.

Was sind Ihre Forschungsziele?

Im Kummer-Lab untersuchen wir, wie ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) das Gehirn auf kurze Sicht schädigt und wie diese Prozesse langfristig zu Degeneration und kognitivem Leistungsabfall führen.

Das SHT ist die häufigste Todesursache und führt zu den meisten Behinderungen bei jüngeren Menschen. Und es ist der am stärksten gesicherte umweltbedingte Risikofaktor für Alzheimer und ähnliche Demenzerkrankungen. Die Zusammenhänge zwischen einem früheren SHT und einer späteren Neurodegeneration sind dagegen nicht geklärt. Wir vermuten, dass es einige elementare Prozesse gibt, die unmittelbar nach einem SHT Behinderungen verursachen und im späteren Verlauf die Entstehung einer Demenz begünstigen. Wir hoffen, diese Prozesse zu identifizieren, um sie zielgerichtet mit speziellen Therapien behandeln zu können und so die Behandlungsergebnisse stationärer SHT-Patienten zu verbessern.

Mouse Brain Section
Hirnschnitt einer Maus in niedriger Vergrößerung mit präsynaptischem Marker Synapsin (grün) und postsynaptischem Marker PSD-95 (magenta). Zellkerne sind blau dargestellt. Bildaufnahme mit dem Objektträger-Scanner ZEISS Axio Scan.Z1.

Was spricht für die Quantifizierung von Gehirnsynapsen bei der SHT-Forschung?

Der vorgestellte Artikel zeigt eine von uns entwickelte Methode, mit der sich eine mögliche Ursache bei einer kurz- und langfristigen Behinderung nach einem SHT besser charakterisieren lässt: der Verlust von Synapsen.

Heat Map Synaptic Density
Wärmebild der Synapsendichte am Hippocampus einer Kontrollmaus (links) und eines Tiers mit einer Mutation, die zur Ablagerung von Amyloid-Plaques führt. Wärmere Farben kennzeichnen eine größere Synapsen-Loci-Dichte.

Was uns zur Untersuchung von Synapsenschädigungen nach einem SHT bewegt hat, war der Punkt, dass gerade der Synapsenverlust bei Alzheimer-Demenz und vielen anderen Demenzerkrankungen ein frühzeitiger und verbreiteter Befund ist. Der Verlust von Synapsen lässt auch bessere Prognosen des kognitiven Verfalls zu, als alle anderen pathologischen Merkmale, einschließlich Plaques und Tangles. Wir haben uns gefragt, ob ein SHT den Synapsenverlust herbeiführen könnte, der die Kommunikation der Neuronen verhindert und das Risiko einer späteren Demenz erhöht.

Erzählen Sie uns bitte etwas über Ihre neue Methode zur Analyse der Gehirnsynapsen

Die Charakterisierung der Struktur und der molekularen Eigenschaften von Synapsen im Gehirn bringt einige Herausforderungen mit sich. Synapsen sind extrem dicht in ein komplexes zellstrukturelles Umfeld gepackt und mit der Auflösung der herkömmlichen Lichtmikroskopie nicht darstellbar.

Airyscan Imaging Synapses 2
Darstellung der prä- (grün) und postsynaptischen Marker (rot) mit der Superauflösung des ZEISS Airyscan.

Es wurden bereits verschiedene Konzepte entwickelt, die dieses Problem lösen sollten. Zum Beispiel die Elektronenmikroskopie, die Array-Tomographie oder die optische Superauflösung. Doch alle Konzepte haben erhebliche Nachteile, die ihre Einsatzmöglichkeiten einschränken.

Unser Ziel war die Entwicklung einer leicht zugänglichen, unkomplizierten Methode für die Identifizierung, Charakterisierung und Quantifizierung von Synapsen, um die Lücke zwischen Konzept und praktischer Anwendung zu schließen. Wir haben ein Verfahren gesucht, mit dem Wissenschaftler Fragen beantworten können, die bei der Untersuchung von unzähligen Proben und der Erforschung zahlreicher Erkrankungen entstehen. Und das in jeder Altersgruppe und über große Bereiche hinweg (in großen Hirnregionen). All das muss möglich sein, wenn man das SHT und dessen Zusammenhang mit langfristigen Outcomes nachvollziehen will.

Das Video zeigt den Arbeitsablauf bei der Analyse der Synapsen-Loci in großen Hirnregionen mit SEQUIN. Mithilfe vollautomatisierter Kachelaufnahmen werden sehr große Regionen, in diesem Fall ein vollständiger Schnitt eines Maus-Hippocampus, in Superauflösung abgebildet (oben links). Die Einzelbilder aus diesem Scan zeigen beim Vergrößern einzelne individuelle prä- und postsynaptische Puncta (unten links; grün für prä- und magenta für postsynaptische Puncta). Unsere SEQUIN-Analyse misst die prä-/postsynaptische Separation einzelner Puncta-Paare und zeigt eine Häufung von Puncta-Paaren an den Synapsen-Loci (hohe Spitze im Diagramm unten rechts). Durch die Quantifizierung dieser Spitze für einzelne Teile der Kachel lassen sich Wärmebilder der Synapsendichte erstellen (oben rechts; wärmere Farben kennzeichnen Bereiche mit größerer Synapsendichte).

Woher kommt der Name „SEQUIN“?

Wir haben uns bei dieser Technik aus zwei Gründen für den Namen „SEQUIN“ entschieden: Zum einen gibt er die Kernbestandteile der Analysemethode – Synapsenevaluierung und -quantifizierung – in einprägsamer Kurzform wieder. Zum anderen haben uns die Bilder, die mit dieser Methode entstehen, an schimmernde Pailletten vor einem dunklen Hintergrund erinnert – und das englische Wort für Paillette ist „sequin“. Im Labor gab es heiße Diskussionen um den passenden Namen! Am Ende hat sich mein Vorschlag durchgesetzt, und die anderen taten so, als würden sie sich für mich freuen.

Sequin Brain Artwork
Das SEQUIN-Multiskalen-Imaging soll dazu beitragen, die Struktur und Funktion des Gehirns nachzuvollziehen. Dieses Verfahren legt die Muster der synaptischen Verbindungen offen, hier als Pailetten („sequins“) dargestellt – eines Tages vielleicht für das gesamte Gehirn. Foto: Story Kummer

Wie wird sich diese neue Methode Ihrer Meinung nach auf die Forschung auswirken?

Wir gehen davon aus, dass SEQUIN auch Wissenschaftlern, die nicht unserer Fachrichtung angehören, die strukturelle und molekulare Synapsenanalyse für ihre Forschung ermöglichen wird. Anders gesagt: Wir hoffen, dass nun auch Labore, die sich nicht regelmäßig mit der Synapsenanalyse befassen, mit vergleichsweise wenig Aufwand synaptische Endpunkte genau untersuchen können. Unserer Ansicht nach sind synaptische Veränderungen, seien sie adaptiv oder pathologisch, eine häufige Reaktion des Gehirns auf Reize. Ganz gleich, ob es dabei um entwicklungsbedingte oder erfahrungsbedingte Reize geht, oder um Reize, die als Folge einer Hirnverletzung oder -erkrankung auftreten. Wir rechnen damit, dass SEQUIN tiefergehende Einblicke in diese bedeutenden Abläufe eröffnen wird.


Posted on October 29, 2020 @ 5:05 pm In Nutzerbericht | No Comments


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