Softwareentwicklung in Zeiten von Corona – „Business as usual?“

In Zeiten des Social Distancing treten gelegentliche Videokonferenzrunden im Freundeskreis an die Stelle des gemeinsamen Kneipenbesuchs. Hier kam schnell die Diskussion auf, wie stark Corona den Arbeitsalltag beeinflusst.

Die allgemeine Meinung war, dass die Arbeitsfähigkeit stark beeinträchtigt und bei einigen sogar fast gar nicht mehr vorhanden sei. Die Arbeitgeber waren schlicht nicht bzw. nur stark eingeschränkt in der Lage, die notwendige Infrastruktur für die Arbeitsfähigkeit bereitzustellen. Und wenn dann die Infrastruktur endlich stand, wurde allen klar, was jeder weiß, der schon einmal verteilt gearbeitet hat: Es ist kompliziert! Wer darf sprechen? Kamera an oder aus? Da schreit ein Kind im Hintergrund, bitte das Mikrophon muten! Du möchtest etwas sagen? Bitte dein Mikrophon un-muten! Die Verbindung ist schlecht, ich verstehe nur jedes zweite Wort… die Liste lässt sich endlos weiterführen.

Viele sind es einfach nicht gewohnt, so zu arbeiten. Nicht zuletzt, da Kommunikation mehr ist als der bloße Austausch von Worten. Die Deutung bspw. von Körperhaltung, Mimik und Gestik der Gesprächspartner ist bei Telefon- und auch Videokonferenzen ungleich schwieriger. Das ist eine neue Situation, die viel Disziplin und Anpassungen aller Beteiligten erfordert!

Die Diskussionen mit meinen Freunden ziehen dann so vor sich hin und Erfahrungsberichte über Video-Tool-Anbieter wechseln sich mit Klagen über die eigentliche „Unmöglichkeit“ des Arbeitens in dieser Situation ab. Währenddessen suche ich in meinem Kopf verzweifelt nach eigenen Wortbeiträgen für diese Diskussion. Und ich finde auf die Frage „Was hat sich für dich seit Corona in deiner Arbeit geändert?“ nur die Antwort: „Eigentlich nichts!“

Das ist – zugegeben – eine leichte Übertreibung! Die Fahrt ins Büro, das gemeinsame Mittagessen mit Kollegen, der Schwatz an der Kaffeemaschine – all das fällt nun erst einmal weg und bedeutet einen herben Einschnitt und Verlust. Wenn, wie in meiner Situation, das Home-Office nicht nur Büro sondern auch noch Kita ist und beide Elternteile Vollzeit arbeiten, wird verteiltes Arbeiten auch für Menschen, die damit eigentlich Erfahrung haben, zu einer Herausforderung.

Aber auch hier gilt: Die Ausgangssituation ist für die meisten Menschen gleich. Insofern hilft es nur, sie entsprechend anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Und genau da zeigt sich einmal mehr, wie wichtig es ist, bereits Erfahrungen im verteilten Arbeiten gesammelt zu haben.

Die ZEISS Digital Innovation (vormals Saxonia Systems AG) verfolgt seit vielen Jahren das Grundprinzip des Arbeitens in verteilten Teams. Nicht zuletzt, um die Work-Life-Balance der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhalten, ist es dem Unternehmen wichtig, dass die Leistungen für einen Kunden theoretisch überall erbracht werden können. Dadurch werden zum einen Reisekosten gespart und zum anderen wird sichergestellt, dass die notwendige Infrastruktur für die Arbeit vorhanden ist und nicht ggf. noch extra vom Kunden beschafft werden muss.

Person sitzt vor Laptop und mehreren Monitoren während einer Videokonferenz und nutzt das Tool ETEOboard für verteilte Zusammenarbeit
Abbildung 1: Verteilte Projektarbeit im Home-Office

Ich persönlich habe in meiner fünfjährigen Betriebszugehörigkeit erst ein Projekt erlebt, bei dem das Entwicklungsteam ständig an einem Standort versammelt war. In meinem aktuellen Projekt, gestartet im September 2019, liegt eine extreme Verteilung vor: Die sechs Projektmitglieder der ZEISS Digital Innovation sitzen an fünf unterschiedlichen Standorten, die Projekt-Stakeholder des Kunden an zwei Standorten. Insofern haben wir nicht erst seit Corona die Herausforderung des verteilten Arbeitens zu meistern, sondern diese Verteilung bereits zu Projektstart als Risiko identifiziert, dem wir uns stellen mussten.

Gelungen ist uns das meiner Meinung nach mit einem simpel anmutenden Mittel: Direkte Kommunikation!

Das Entwicklungsteam hat oft die Technik des PairProgramming eingesetzt, um einerseits den Know-how-Transfer innerhalb des Teams zu fördern, aber auch, um den individuellen Stil des jeweils anderen kennenzulernen. Daneben gehören bei uns Code Reviews zum Standardvorgehen. Diese dienen einerseits der Qualitätssicherung, andererseits fördern Code Reviews auch den Wissensaustausch innerhalb des Teams. Neben dem Daily-Meeting für alle Teammitglieder haben wir ein eigenes „DEV-Daily“ etabliert, in dem sich das Entwicklungsteam in kleinerer Runde über insbesondere technische Fragestellungen austauschen kann.

In regelmäßigen Refinement-Meetings werden fachliche Anforderungen mit technischen Lösungsansätzen gemappt. Ideen werden gesammelt, geprüft, angepasst, verworfen und neu entwickelt und das ohne Denkverbote und -schranken. Dadurch ist ein Raum der Kreativität und freien Entfaltung entstanden, in dem jedes Teammitglied seine Ideen einbringen kann und sich dadurch wertgeschätzt und mitgenommen fühlt: Trotz der Verteilung ist ein echter Teamspirit entstanden!

Die Etablierung dieser offenen Kommunikationskultur führt dazu, dass wir innerhalb des Teams intensiver und häufiger kommunizieren, sei es im Vier-Augen-Gespräch oder in der Gruppe. Dabei ist immer zu beachten, dass den individuellen Präferenzen der Teammitglieder hinsichtlich der Kommunikation Rechnung getragen wird: Manche Menschen sind Frühaufsteher. Sie sind um 8 Uhr morgens bereits voll in ihrem Flow und platzen fast, ihre neuen Ideen den Kolleginnen und Kollegen mitzuteilen, während andere um diese Uhrzeit noch kaum die Augen aufkriegen. Einige möchten gerne im Vorfeld einen Termin bekommen, um Dinge zu besprechen, damit sie planen und sich vorbereiten können. Andere springen ganz leicht zwischen Themen hin und her und man kann sie einfach ad hoc mit einem Anruf überfallen.

Um effizientes Arbeiten auch in einem verteilten Team zu ermöglichen, ist es zugegebenermaßen vermutlich nicht ausreichend, einfach „mehr zu kommunizieren“. Vielmehr ist ein durchdachtes Konzept, das alle Aspekte und Herausforderungen von verteiltem Arbeiten berücksichtigt, unabdingbar. Das gilt insbesondere für Teams mit wenig Erfahrung im verteilten Arbeiten.

Die ZEISS Digital Innovation hat bereits vor einigen Jahren mit dem ETEO-Konzept Aufmerksamkeit erregt. ETEO („Ein Team Ein Office“) ist ein Framework zur verteilten Arbeit von Projektteams. Es gibt Projektteams einen Leitfaden an die Hand, wie verteilte Arbeit erfolgreich gestaltet werden kann. Eine permanente Videoverbindung zwischen den Standorten und die Nutzung eines digitalen Workboards für die Organisation von Aufgaben ermöglichen es den Teams, standortübergreifend zusammenzuarbeiten, quasi als wären sie an einem Standort versammelt. Die Videoverbindung ist dabei kein Muss, sondern lediglich ein Element aus dem Baukasten des bei ZEISS Digital Innovation gebräuchlichen Tool-Kits für verteiltes Arbeiten. Im Unternehmen gibt es speziell geschulte Mitarbeiter (ETEO-Coaches), welche die Teams in der Ramp-up-Phase eines Projektes und während des weiteren Projektverlaufs dediziert in Techniken für verteilte Zusammenarbeit schulen und hinsichtlich einzusetzender Tools beraten. Bei unseren Kunden führt dies oft zu „Aha-Effekten“, dass verteilte Zusammenarbeit durchaus möglich ist – und zwar ohne Performance-Einbußen befürchten zu müssen.

Grafik eines Hauses "Ein Team Ein Office" auf vier Säulen und auf der Basis von Werten für verteilte Scrum-Teams
Abbildung 2: ETEO – unser Zusammenarbeitsmodell

Generell gilt aber auch für das verteilte Arbeiten: Das Werkzeug ist nichts, wenn man es nicht einzusetzen weiß! Damit meine ich, dass verteiltes Arbeiten ohne die entsprechende Disziplin und das passende Mindset der Beteiligten nicht gelingen kann. An dieser Stelle bleibt zu sagen: Man muss sich darauf ohne Vorbehalte einlassen sowie Tools und Techniken einfach mal ausprobieren. Und natürlich: Übung macht den Meister! Je länger ein Team verteilt zusammenarbeitet, desto stärker bilden sich die Best Practices für die verteilte Arbeit in der individuellen Teamkonstellation heraus. Man darf nicht außer Acht lassen, dass es das ultimative Konzept für verteiltes Arbeiten nicht gibt. Denn in Projekten kommunizieren keine Rollen oder Verantwortlichkeiten miteinander, sondern immer Menschen und die sind bekanntlich unterschiedlich.

Jedes Projekt ist anders und damit auch die Anforderungen an die verteilte Arbeit. Aber die Grundprinzipien sind überwiegend gleich. Das ist vergleichbar mit dem Bau eines Hauses: Ein Haus kann 1, 2, 3 oder 20 Stockwerke haben, ein Spitz- oder ein Flachdach, Doppelfenster oder einfache Fenster, aber jedes Haus hat ein Fundament, auf dem es steht.

Und die Fundamente der verteilten Arbeit sind bei ZEISS Digital Innovation sehr stabil!

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